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Last Update: 15.8.1999

 

Zahedan, Iran, 10. Februar 1998

Seit nahezu drei Wochen reise ich nun quer durch den Iran. Grundsätzlich hat sich alles als weitaus weniger problematisch erwiesen als befürchtet. Etwas aufgeregt war ich schon, als es galt, die Grenze ins Land der Mullahs zu überqueren. Trotz eisiger Kälte habe ich noch einige Tage am Fuss des Ararat verbracht, um den Moment hinauszuzögern und meine Freiheiten ein letztes Mal auszukosten.

Die schlimmen Befürchtungen waren im nachhinein völlig unbegründet. Das Land ist wesentlich sicherer als die Türkei, die Leute überaus freundlich und hilfsbereit und die persische Gastfreundschaft übertrifft gar alles bisherige.

Die Einreise in den Iran war völlig problemlos und nahm nicht mal eine Stunde in Anspruch. Die Geschichten von gestrengen, bärtigen Mullahs, die das Gepäck minuziös auf nicht mit dem Islam konforme Literatur oder Darstellungen unverschleierter Frauen durchsuchen, haben sich nicht bewahrheitet. Ebensowenig fand das befürchtete Kreuzverhör mit anschliessender Haftstrafe in einem der berüchtigten Gefängnisse statt. Niemand wollte all die unbequemen Fragen stellen, auf welche ich längst eine passende Antwort bereit hatte. Kaum zu glauben, aber die liessen mich einfach passieren, ohne das geringste Interesse daran zu zeigen, was ich in ihrem Land eigentlich verloren habe. So hätte ich problemlos die gesamten Werke Rushdies einführen können!

Der grosse Kulturschock hat sich nicht eingestellt. Da sich in den ländlichen Gegenden der Türkei die Frauen freiwillig an die islamische Kleiderordnung halten, unterschied sich das Strassenbild nicht so sehr von demjenigen in Ostanatolien. Anstelle von Atatürk starrt nun die grimmige Miene Khomeinis von den Wänden und anstelle des Halbmondes flattert das Zeichen des schiitischen Islam im Wind. Bis zum ersten Aufenthaltsort Tabriz war „Tod den Amerikanern" noch ab und zu in lateinischer Schrift zu lesen, und die Sprache war nach wie vor Türkisch. Zumindest behaupteten die Leute, Türkisch zu sprechen. Ich verstand kaum die Hälfte von dem, was man mir erzählte, und wurde wiederholt gefragt, wo ich denn Istanbulisch gelernt hätte? Bis kurz vor der Grenze, immerhin ein gutes Stück von Istanbul entfernt, hatte seltsamerweise niemand Probleme damit, es wird fliessend Istanbulisch gesprochen.

Mein ursprüngliches Vorhaben, mich vollständig anzupassen und einen Tschador zu tragen, habe ich aus praktischen Gründen schnell wieder aufgegeben. Da es sich beim Tschador nicht um ein eigentliches Kleidungsstück, sondern um einen losen Umhang von den Dimensionen eines Zelttuches handelt, das man kunstvoll umbindet und mit einer Hand zusammenhält, war dies zusammen mit einem Rucksack nicht zu bewerkstelligen. Selbst ohne Gepäck braucht es offenbar sehr viel Übung, um sich in einem Tschador bewegen zu können, ohne dass alles verrutscht. Wie die das machen, ist mir ein Rätsel. Da die islamische Kleiderordnung „lediglich" vorschreibt, keine Harre und bis auf Gesicht und Hände keine Haut zu zeigen und auch keine Körperformen erkennen zu lassen, besteht auch nicht unbedingt ein Tschadorzwang. So habe ich mich entschieden, mich im Stil moderner Iranerinnen zu kleiden und es bei Kopftuch und weitem Mantel, den ich von einer Gastfamilie in Teheran geschenkt bekam, bewenden zu lassen. Im Unterschied zu anderen islamischen Ländern müssen sich die Frauen hier nicht total zuhängen, das Gesicht darf unbedeckt bleiben. Je nach Region werden sogar einige Haarbüschel gezeigt und verbotenerweise Make up und Lippenstift aufgetragen. Die Garden des Revolutionskomitees, die Pasdaran, sind nicht überall gleich streng und scheinen wesentlich gemässigter als früher. So wurde ich lediglich etwas unfreundlich zurechtgewiesen, als mein Kopftuch zu weit nach hinten rutschte, und nicht, wie im islamischen Recht, der Scharia, vorgeschrieben, ausgepeitscht und eingesperrt.

Wesentlich grösseren Wert wird hingegen auf die Einhaltung der strikten Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben gelegt. Das hintere Drittel in Stadtbussen ist mit einer Eisenstange eigens für Frauen abgetrennt. Gespräche über die Ausgrenzung sind nicht erlaubt, gemischte Schulen gibt es nicht; an den Universitäten überwachen die Pasdaran die Gänge und sorgen dafür, dass die Frauen die hintersten Sitzreihen einnehmen und den Hörsaal geschlossen verlassen. In den Strassen und Parks lauern die Garden des Komitees gemischtgeschlechtlichen Gruppen auf. Liegt keine nachweisbare verwandtschaftliche Beziehung oder eine Heiratsurkunde vor, ist mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen. Interessanterweise gibt es im schiitischen Recht die Möglichkeit, eine befristete Zeitehe einzugehen. Die Heiratswilligen dürfen die Vertragsbestimmungen selbst aushandeln. Nach Ablauf der festgelegten Frist (Mindestdauer: 15 Minuten) laufen die gegenseitigen Verpflichtungen automatisch aus und müssen erneuert werden.

Grundlage für das schiitische Recht sind neben dem Koran das Leben und die Handlungsweise von Mohammed (Sunna) und seinen direkten Nachfahren, den Imams (im islamischen Schiismus deren zwölf). Die Rechtsgelehrten fanden in den Schriften einen Hinweis darauf, dass der erste Imam seinen Kriegern auf den Feldzügen eine temporäre Ehefrau gestattete, damit sich diese nicht der ausserehelichen Unzucht - in den Augen Allahs eines der schlimmsten Vergehen - schuldig machten. Nun könnte man denken, dass die meisten Iraner vom Instrumentarium der Zeitehe Gebrauch machen, um die strengen Bestimmungen der Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit zu umgehen, aber ebendiese verhindern gerade, dass man überhaupt jemanden ausserhalb des Familienkreises kennenlernt. Zudem scheint das Eingehen einer Zeitehe mit einem mühsamen Papierkrieg verbunden zu sein, und die offizielle Bewilligung wird nicht ohne weiteres erteilt, dieses Recht ist scheinbar den Mullahs vorbehalten. Eigenartigerweise geniesst ein solches Arrangement nicht gerade den besten Ruf, als ob 15 Minuten nicht ausreichen würden, sich eingehend kennenzulernen! Wenn ich, von jungen Leuten auf die grenzenlosen Möglichkeiten bei uns im Westen angesprochen, die Zeitehe vorschlug, stand meistens das blanke Entsetzen in den Gesichtern geschrieben. So werden, wie sich das gehört, vorwiegend von den Eltern arrangierte Dauerehen abgeschlossen. Sobald das Brautgeld und die Formalitäten ausgehandelt sind, darf sich das Paar im Kreis der Familie treffen und erste Worte wechseln, wobei der Mann meist die Katze im Tschador kauft.

Die Familie, die mich in Teheran einlud, bei ihr zu wohnen, hatte einige Wochen vor meiner Ankunft ihren ältesten Sohn vermählt. Weil nicht alle Hochzeitsgäste unter einander verwandt waren, stellten die Nachbarn ihr Haus den Frauen zur Verfügung, während die Männer im Haus der Bräutigamfamilie feierten. Ein wirklich schönes Fest! Die tausend Fotos, durch die ich mich hindurcharbeiten musste, bewiesen es: Alle sassen sie aufgereiht, wie bestellt und nicht abgeholt.

Es gibt natürlich auch solche, die sich um islamische Gesetze einen Deut scheren und den Schein nur gegen aussen wahren. Bei solchen Leuten war ich wesentlich lieber zu Gast, ich durfte dann innerhalb des Hauses meine gewohnte Kleidung tragen. Viele sind alles andere als glücklich über die vom Regime auferlegten Restriktionen, verfluchen die Mullahs und die Dummheit der gläubigen Moslems und schaffen sich hinter verschlossenen Türen einen gewissen Freiraum. Das Führen eines solchen Doppellebens wird durch die iranische Architektur erleichtert: Ob in einer Grossstadt oder auf dem Land, die Häuser sind stets von einer hohen Mauer umgeben und somit weder von der Strasse noch vom Nachbarhaus aus einsehbar. Somit ist von aussen nicht ersichtlich, ob es sich um eine luxuriöse Villa oder um ein einfaches Haus handelt. Zunächst gelangt man durch ein Tor in einen Innenhof, durch den man das Haus betritt. Die Innenausstattung ist meist einfach, Möbel sind nur wenige vorhanden. Da sich das Leben auf dem mit Teppichen ausgelegten Fussboden abspielt, ist Mobiliar auch völlig unnötig. Zum Essen wird ein Tuch ausgebreitet, um das man sich versammelt, und das anschliessend wieder weggeräumt wird. Im selben Raum werden am Abend Matratzen und Decken zum Schlafen ausgerollt, die tagsüber in einem Schrank verstaut werden. Selbst in wohlhabenderen Familien, die sich Möbel leisten könnten, wird das so gehandhabt.

Es ist wirklich ein grosses Glück, dass die Leute so offen und herzlich sind. Aufgrund des erzwungenen Rückzugs ins Privatleben hätte ich sonst von diesem Land überhaupt nichts mitbekommen. Die wenigen Teehäuser, in die man abends gehen könnte, sind für unbegleitete Frauen nicht vorgesehen. Restaurants schliessen meist am frühen Abend und sind generell wenig einladend zum längeren Verweilen. In diese kantinenartige Esshallen geht man nur, um sich möglichst schnell zu verpflegen und ebenso schnell wieder zu gehen. Ein Nachtleben mit Musik und Tanz gibt es natürlich keines.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass das Ende des Ramadans mit irgendwelchen Festivitäten verbunden sein würde (für die Türken war eine viertägige Dauerparty angesagt), aber bis auf eine kurze religiöse Prozession mit anschliessendem Massengebet auf dem Hauptplatz war nichts los. Trotzdem war es schön, dass das Fasten ein Ende nahm und man auch tagsüber wieder in Ruhe einen Tee trinken konnte, ohne zu befürchten, dass man dabei erwischt und mit Stockhieben bestraft würde.

Morgen ist der Jahrestag von Khomeinis Machtübernahme, genannt „der wundervolle Sieg der islamischen Revolution im Iran". Zur Vorbereitung werden seit Tagen pausenlos die immer gleichen Archivbilder aus der glorreichen Zeit ausgestrahtl,, mit anschliessender Hommage an all die im heiligen Krieg gegen den Irak gefallenen Helden, deren Familien damals anstelle Beileids- Grlückwunschtelegramme erhielten. Mal sehen, ob es wirklich so viele sind, die sich morgen vor den überlebensgrossen Khomeini-Bildern auf öffentlichen Plätzen versammeln und „Tod unserem Feind Amerika" rufen. Die meisten Leute, die ich getroffen habe, sind den Mullahs nicht so wohlgesonnen und setzen auch wenig Vertrauen in die neue Regierung Katemis. Aber der Schein trügt wohl etwas. Da ich mich auf Farsi kaum unterhalten kann, kam ich nur mit gebildeteren Leuten mit Englischkenntnissen in engeren Kontakt. Was die fast 40 % Analphabeten denken, kann ich lediglich vermuten.

Hier zu leben, wäre eine grosse Umstellung. Die Freiheiten sind schon etwas arg beschnitten, und die ständige Angst vor der Pasdaran mit der Zeit zermürbend. Das völlige Fehlen eines öffentlichen Lebens und das ständige Versteckspiel könnte ich auf die Dauer nicht aushalten.

Viele der Leute, die sich an die Zeit vor der Revolution erinnern, tragen sich mit dem Gedanken auszuwandern. Die Heiratsanträge, die ich erhalten habe, sind also durchaus rational begründet. Dennoch ist nicht zu befürchten, dass bald eine Karawane Kamele gen Burgdorf zieht. Ein gewisser Modernisierungsschub hat auch auf dem Heiratsmarkt stattgefunden. So hat mir ein Ladenbesitzer in Shiraz, der mich einlud, im Haus seiner Schwester zu wohnen, am zweiten Tag seine Bankauszüge unter die Nase gehalten und gefragt, ob sich meine Eltern damit wohl zufrieden geben würden! Er habe den Iran satt und daher den Entschluss gefasst, sein Geschäft zu verkaufen und mit mir in der wundervollen Schweiz zu leben.

Eigentlich habe ich bisher in der irrigen Meinung gelebt, die russischen Trinksitten seien die abartigsten. Seit ich die iranischen kenne, bin ich nicht mehr so sicher. Ist mal irgend etwas Alkoholhaltiges im Haus, kann es nicht schnell genug gehen mit dem Hinunterschütten. Von Genuss keine Spur, was bei der Qualität der auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Getränke nicht weiter verwundert. Etwas aufzutreiben, scheint nicht immer ganz einfach zu sein. So habe ich zusammen mit meinem Gastgeber in Isfahan, der versessen darauf war, mir zu beweisen, dass er sich von einer Horde Mullahs nicht unterkriegen lässt (hoch lebe der Schah, unter dem alles viel besser war), über vier Stunden in obskuren Gängen und Hinterhöfen des Basars zugebracht, bis wir endlich im Besitz einer Falsche gepanschtem Whiskey vom Mindesten waren.

Auf dem Schwarzmarkt gibt es so manches, was einem die religiösen Fundis verwehren. Mit den nötigen Beziehungen kann man von einem der berüchtigten Dealern, welche aus purer Gewinnsucht die Jugend ins Verderben stürzen wollen, ein Set Jasskarten für stolze 6 $ erstehen. Die illegal erworbenen Objekte gehören zu den Prunkstücken jedes Haushalts und werden meist zu Beginn einer Hausführung mit grossem Stolz vorgezeigt: Sei dies nun eine Musikkassette von Modern Talking oder eine Raubkopie des türkischen Fernsehen auf Video, die man - noch schlimmer - in Erwartung grosser Bewunderung abspielt.
Zahedan ist die letzte grössere Ortschaft vor dem einzigen legalen Grenzübergang nach Pakistan. Der warme Wüstenwind wirbelt Sand auf, der in die Augen und unter die Kleider dringt. Im Sommer muss die Hitze hier mörderisch sein. Die Temperaturen sind für meine Bekleidung bereits jetzt an der obersten Grenze. Eigentlich hatte ich vor, noch an den Persischen Golf zu reisen. Da jedoch Baden nur in voller Montur erlaubt ist, habe ich mich umentschieden und etwas mehr Zeit in der Hochebene verbracht.

Leider sind die beiden Versuche, mich telefonisch aus dem Iran zu melden, fehlgeschlagen. Einen Internet-Zugang zu finden, habe ich erst gar nicht versucht. In Teheran hatte ich grosse Mühe mich zu orientieren, die arabischen Schriftzeichen sind so einfach nicht, und ich war froh, das zu finden, was ich unbedingt brauchte, nämlich das Büro für ausländische Angelegenheiten, damit ich mein Visum verlängern lassen konnte. Dieses Büro muss in den letzten Jahren etwa fünfmal umgezogen sein!

Meine Reiseroute: Erzurum - Dogubeyazit - Tabriz - Teheran - Isfahan - Shiraz - Kerman - Bam - Zahedan - Quetta - Karachi (Pakistan), wo ich hoffentlich am 14. Februar Sven treffen werde.

Andrea