(Ohne Titel)
 
 

Spät in jener Winternacht

sass ich in meinem trauten Zimmer,

aus dem fernen Schlaf erwacht,

grübelnd nun, ratlos wie immer.
 
 
 
 
 
 

Im Dunkel draussen schwerer Schnee

gnädig verdeckt die müde Welt -

in meiner Seele pochend Weh,

bittre Gewissheit: etwas fehlt...
 
 
 
 
 
 

In dem dröhnend stillen Schweigen

plötzlich eine beissend’ Stimm’

scheint anklagend mir zu zeigen,

dass ich nicht ahne: "Woher, wohin?"
 
 
 
 
 
 

"Wer, und was?", so will ich gleich

von dem fremden Wesen wissen,

furchterstarrt und schreckensbleich:

ein Beben wogt durch mein Gewissen.
 
 
 
 
 
 

"Fürchte nicht, dumms’ Menschenkind,

was deinem eignen Geist entsprungen;

es war das Wetter, war der Wind,

der eben durch die Nacht geklungen!"
 
 
 
 
 
 

So drang es deutlich an mein Ohr.

Der Schrecken griff mein zitternd Herz –

und, lauter nun als grad’ zuvor,

sprach ich zu diesem bösen Scherz:
 
 
 
 
 
 

"Nur du, du störend’ Geist der Nacht,

du weckst den Drang in meinen Sinnen.

Du hast mich um die Ruh’ gebracht,

du nur lässt zu zweifeln mich beginnen!"
 
 
 
 
 
 

In meinem Kopfe hört’ ich’s sagen:

"Der Zweifel hat der Mensch genug,

kein andrer’ braucht sie aufzutragen.

Ich bin dich – nirgends Betrug!"
 
 
 
 
 
 

Allein, mir wurde endlich klar,

dass in dem verlassenen Gemach,

ich wirklich ganz alleine war –

und dabei mit mir selber sprach;
 
 
 
 
 
 

Ich stellte mir dieselbe Frage,

die immerzu die Menschen sticht,

spürte die alte, brennende Plage,

die ewig jede Hoffnung bricht;
 
 
 
 
 
 

Ich fragte mich nach Tages Leid,

nach Liebe, Hass, Brimborium

in dieser klaren Einsamkeit,

nur dies’ eine Wort: "Warum?"


(c) 1997 Moritz Gerber