Krieg führen

Manch einer begnügt sich heutzutage Zwecks eines Adrenalinschubes damit, sich ein Seil um die Füsse zu binden und von einer Brücke zu springen. Oder damit, auf statt in der Strassenbahn zu fahren. Es steht aber ausser Frage, dass es auf der Suche nach dem ultimativen Kick eigentlich nur eine Sache geben kann, die wirkliche Befriedigung verspricht. Schon von alters her schwören alle Adrelaninsüchtigen auf das eine: das Kriegeführen!

Falls Sie sich also auch, wie so erstaunlich viele unserer Zeitgenossen, mit dem Gedanken tragen, einen Krieg zu führen (wenn auch nur hobbyhalber oder um sich von ihren privaten Problemen abzulenken), so verrät Ihnen der folgende Text, wie sie das am besten anstellen:

Ihr erster Schritt sollte sein, in einem Land geboren zu werden und aufzuwachsen, welches schon eine funktionierende Armee hat. Sind sie dazu ausserstande, so wachsen Sie in irgendeinem anderen mittelgrossen, relativ reichen Land auf, zumindest aber sollten Sie winzige Länder wie Liechtenstein vermeiden, Sie werden sonst später Probleme mit dem Platz für Panzergaragen haben.

Nun sollten Sie so bald wie möglich in die Politik einsteigen, geschehe dies mittels Revolution, Eintritt in eine Partei oder Gründung einer solchen. (Machen Sie sich ob deren Namen keine Sorgen, die dümmsten Namen werden akzeptiert! Nennen Sie sie "Hopp Deutschland", "Allez-y France!" oder "Forza Italia!", je nachdem, wo Sie wohnen. Fällt Ihnen gar nichts ein, so nennen Sie sie "Rollschuh-Partei" oder "Flugzeug-Partei" oder sogar "Auto-Partei", niemand wird auch nur mit der Wimper zucken!)

Jetzt wird es etwas kniffliger: Werden Sie Alleinherrscher, Diktator, Tyrann. Sollten Sie mit diesem Schritt Probleme haben, so wenden sie sich an einen Zahnarzt Ihres Vertrauens, der hat Erfahrung damit.

Bauen Sie als nächstes ihre Armee aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Versuchen Sie, die Wehrpflicht auch für Frauen einzuführen. Und für Kinder. Wehrpflicht für Kinder hat sich schliesslich in der Vergangenheit in Europa schon bewährt, und sie ist auch heutzutage, beispielsweise in terroristischen Gruppen arabischer Länder oder in Feuerwaffenvereinen in den USA immer gern gesehen.

Nun brauchen Sie noch zwei Dinge: Erstens einen Feind im Landesinneren, dem sie alles, was schiefgeht, in die Schuhe schieben können, und zweitens einen Landesfeind.

Zu erstem: Nehmen sie sich für den internen Feind irgendeine Randgruppe mit wenig Mitgliedern, wie zum Beispiel Schwarze, Blinde oder Menschen ohne Handy. Schicken Sie davon so viele wie möglich in ihre Gefängnisse. Um herauszufinden, wer dieser Randgruppe zugehört, oder im allgemeinen zu erfahren, wer im Lande Sie nicht mag, empfiehlt sich übrigens ein Bespitzel- und Fichenapparat. Ein solcher wurde schon oft erfolgreich angewandt: zum Beispiel in Nazideutschland, in der DDR und in der Schweiz.

Zu zweitem: Ihr Landesfeind sollte eines Ihrer Nachbarländer sein, das nicht zu klein und nicht zu gross ist. Ist es zu klein, so wird es mit dem Zielen und Treffen bei Bombenabwürfen für Ihre Piloten Probleme geben, ist es zu gross, so könnten Sie die Übersicht verlieren, und Ihnen könnte die Lust am Krieg vergehen.

Sie sollten ausserdem unbedingt darauf achten, dass ihr ausgewähltes Land nicht reich an Bodenschätzen ist, denn sonst könnten die USA sich für es einsetzen.

Wohlan, an Ihrem nächsten freien Wochenende (soviel Zeit sollten sie sich mindestens nehmen) können Sie Ihrem Landesfeind den Krieg erklären. Manchmal wir von Ihnen erwartet, dafür einen Grund anzugeben. Erheben Sie in solchen Fällen einfach uralte Hoheitsrechte an Ihrem Zielland oder begründen Sie Ihren Entschluss, Krieg zu führen mit irgendeiner Religion - mit Religionen scheint man heutzutage alles begründen zu können.

Nun werden Ihnen Ihre Generäle, Admirale und Offiziere - ach ja, und Ihre Soldaten - die Arbeit aus den Händen nehmen. Lehnen Sie sich zurück und geniessen Sie Ihren Krieg. Zur Erquickung schliessen Sie ab und an ein paar Waffenstillstandsabkommen, brechen Sie sie wieder, eröffnen Sie Kriegsgefangenenlager oder tun Sie sonst was Sie wollen, niemand wird mehr tun als Ihre Taten schärfstens zu missbilligen und hitzig darüber zu diskutieren.

Sollten irgendwann ein paar Typen mit blauen Helmen im Kriegsgebiet auftauchen, so machen Sie sich weiter keine Sorgen; das sind nur Zuschauer. Verkaufen sie Ihnen Popcorn oder erschiessen Sie sie.

Falls Sie es bedauern in Ihrem Palast so wenig vom Krieg mitzukriegen, so schalten Sie CNN ein. Dort werden Sie 24 Stunden mit den neuesten Bildern von zerfetzten Leichen, vergewaltigten Frauen und verhungernden Kindern versorgt, also mit allen glorreichen Taten Ihrer Soldaten.

Falls Sie den Krieg gewinnen oder verlieren (es spielt nie eine Rolle, ob ein Krieg gewonnen oder verloren wird - zumindest den Gefallenen ist es in den meisten Fällen ziemlich egal), oder sollte er gar unentschieden enden, so beginnen Sie bei Schritt zwei (Einstieg in die Politik) von neuem.

Sollten Sie jedoch zu den Menschen gehören, die keinen Krieg führen, ihn sogar verhindern oder beenden wollen, so kann ich Ihnen leider keinen Rat geben, wie Sie das anstellen sollen.

Da sollten Sie selbst ab und zu mal darüber nachdenken!
 

© Moritz Gerber