KOMMISSION

E., W., F. und L. sitzen auf vier nebeneinander aufgestellten Stühlen, dem Publikum zugewandt. Alle vier haben je einen Stoss Papiere bei sich, in dem sie hin und wieder herumblättern. E. steht auf und lächelt freundlich.

   E.
Also... einen wunderschönen Tag, ich heisse Sie – auch im Namen meiner KollegInnen – herzlich willkommen. Sicher sind Sie alle etwas angespannt und wünschten, dies hier wäre schon vorbei. Ich will deshalb nicht lange sprechen, sondern gleich den Stab an Sie weitergeben. Eines bloss noch: Zur Nervosität ist kein Anlass. Wir sitzen uns zwar frontal gegenüber, doch betrachten Sie dies nicht als klassische Prüfung – vielmehr wollen wir, die Mitglieder der Kommission, Sie alle ein bisschen näher kennenlernen. Dass wir am Ende ein Urteil fällen müssen, liegt halt in der Natur der Sache... Nun, wir sind gespannt darauf, was Sie vorbereitet haben. Bitte! (E setzt sich)

Gespannt schauen die vier ins Publikum... und warten...

    F.
 Beginnen Sie jetzt bitte.

...

    W.
Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht eine Frage? Wir dürfen Ihnen während der Prüfung leider nicht helfen – tun Sie einfach genau das, was sie eingeübt haben...

...

    F.
Also wenn Sie sich nicht imstande fühlen, in dieser Situation Ihre entsprechende...

L. beugt sich zu F. hinüber, flüstert F. mitten im Satz etwas ins Ohr.

    F.
 ... Wie? Was? ... naja.

F. und L. lehnen sich wieder in ihre Stühle zurück und schauen ins Publikum. W. wendet sich F. zu und stellt ihm flüsternd eine Frage, die F. ebenso leise beantwortet. Auch E. beugt sich nun zu den beiden, zu dritt tauschen sie einige getuschelte Worte aus. Dann wenden alle den Blick zurück ins Publikum und warten... warten...

    E.
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie hier unterbreche... das heisst, falls ich Sie unterbreche. Wir sind uns nicht ganz einig, ob es sich hierbei vielleicht um eine Art Performance handelt, oder ob Sie noch gar nicht... also...

    L.
(murmelt anerkennend:) Sehr modern...

    E.
 Ach so...

...
    F.
Vor allem langweilig.
... Also, es tut mir ja leid, aber mir ist das einfach zuwenig! Ich will schon irgendwas sehen. Es kann ja irgendwas sein, aber irgendwas muss es schon sein!

  W.
Vielleicht geschieht ja noch mehr...

  F.
Man weiss ja gar nicht, welches die Kommission und welches die Probanden sind. Wie soll man da urteilen? Ich muss mein Urteil ja irgendwie abstützen.

...

  E.
(zu F. gewandt:) „Urteil“ ist vielleicht ein etwas harsches Wort... man fühlt sich ja als Scharfrichter.

    F.
Sie haben das Wort eben selber benutzt.

   W.
Nun, vielleicht mit etwas anderer Bedeutung...?

    F.
Wie dem auch sei: Von Nichts kommt Nichts, und das ist Nichts! Ein paar Leute, die dasitzen und gucken! Da...!

Die vier sitzen und gucken wieder eine Weile still und reglos...

    L.
Nun, Inhalt und Form sind sicher in einem heiklen Gleichgewicht. Die Anspruchshaltung des Zusehers wird sehr subtil zur Probe gestellt.

    F.
Eben, zur Probe – aber wir sollen ja nicht geprüft werden.

L.
Man kann fast nichts sagen und dabei sehr viel ausdrücken – oder sehr viel sagen und dabei nichts ausdrücken.
 
   F.
Wofür dieser Satz ein gutes Beispiel ist.

   W.
Bitte, wollen wir doch jetzt einfach zuende sehen.

L., F. und W. tauschen ein paar böse Blicke. Dann schauen alle wieder ins Publikum, mehr oder weniger konzentriert... schauen...

    E.
(steht plötzlich auf) Gut, ich danke Ihnen. Wir melden uns.

Alle ab.
 
 

© 2000 Moritz Gerber